"Niederschläge gehören zum Leben dazu, aber wir dürfen uns davon nicht unter ...
"Niederschläge gehören zum Leben dazu, aber wir dürfen uns davon nicht unterkriegen lassen." Im Interview erzählt der ehemalige Profisportler, wie er mit Tiefschlägen umgeht und warum es sich lohnt, immer nach vorne zu sehen.Foto-Quelle: Neureuther

"Zuversicht gibt uns Kraft weiterzumachen"

Christian Neureuther spricht im ERL-Interview offen über den Verlust seiner Frau, die Kraft der Zuversicht und die Bedeutung von mehr Nachhaltigkeit. Außerdem erklärt er, warum Künstliche Intelligenz - richtig eingesetzt - eine große Chance bietet.

ERL: Die aktuelle Zeit steckt voller Herausforderungen. Krieg, Inflation und Klimakrise sind die wohl größten Themen. Zusätzlich hat jeder von uns sein ganz eigenes Päckchen zu tragen. Welche Rolle spielt Zuversicht Ihrer Meinung nach in diesem Zusammenhang?

Christian Neureuther: Die Zuversicht ist das Wichtigste, um Probleme überhaupt lösen zu können. Man muss sich Herausforderungen stellen, kritisch sein, dabei aber immer lösungsorientiert denken. Mit Jammern wird man nichts verbessern, genauso wenig wie mit Nachdenken über Fehler. Wenn ich ein Rennen verloren habe, hätte es mich nicht weitergebracht, meine Fehler zu bereuen. Viel besser ist es doch, wenn man aus seinen Fehlern lernt, daran wächst und es beim nächsten Mal besser macht. Man sollte bloß nicht den gleichen Fehler zweimal machen. Nur mit Zuversicht steigt eine positive Energie in einem auf. Die Geschichte hat doch immer wieder gezeigt, dass nach vorne denkende Menschen auch große Probleme lösen können. Wer nur zurückblickt, alles negativ beurteilt und in der Depression versinkt, der hat den Lebenssinn verloren. Zuversicht hingegen gibt uns Kraft weiterzumachen. Ich denke, diese Grundeinstellung des positiven Denkens sollen wir auch unseren Kindern weitergeben.

ERL: Sie haben vor ziemlich genau einem Jahr Ihre Frau Rosi verloren. Dennoch strahlen Sie einen wunderschönen Optimismus aus. Wie schaffen Sie es, stets zuversichtlich zu bleiben?

Christian Neureuther: Ach, ich habe durchaus auch Phasen, in denen ich deprimiert bin. Der Schicksalsschlag mit Rosi nimmt mich mit. Trotzdem will ich nach vorne blicken, das habe ich der Rosi fest versprochen. Wenn ich traurig anstatt dankbar zurückdenke, würde mich das nur herunterziehen und das will ich nicht. Klar, man muss sich mit Tiefschlägen beschäftigen, sie gehören zum Leben dazu. Aber dann darf man auch wieder nach vorne schauen und positiv denken. Ich bin sehr dankbar für die lange, schöne Zeit mit Rosi und ich bin auch sehr dankbar für all die vielen gemeinsamen Erlebnisse und für das Rüstzeug, das ich dadurch für den Rest meines Lebens durch Rosi bekommen habe.

ERL: Es ist bewundernswert, wie Sie mit Tiefschlägen umgehen. Ihre positive Sicht auf die Dinge ist förmlich ansteckend.

Christian Neureuther: Das hoffe ich doch. Es ist so einfach, gute Stimmung zu verbreiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir andere Menschen mit einem Smiley im Gesicht viel besser mitnehmen, als wenn die Mundwinkel immer nach unten hängen. Ich mag andere Menschen nicht runterziehen, indem ich griesgrämig dreinschaue und allen von meinen Problemen erzähle. Lieber helfe ich anderen Menschen. Das gibt einem ja auch selbst ein verdammt gutes Gefühl. Schlechte Laune ist ansteckend, gute Laune aber auch. Deshalb bin ich gerne lächelnd unterwegs, auf meinen Walkingrunden grüße ich alle möglichen Leute, lächle sie an, manchmal ergibt sich auch
die Gelegenheit zu einem kurzen Ratsch. Wenn ich dann ein Lächeln zurückbekomme, ist das ein gutes Gefühl. Es ist so einfach, mit kleinen Gesten etwas Großes zu bewirken. Probieren Sie es gerne aus.
Wie gesagt: Niederschläge gehören dazu, aber wir dürfen uns davon nicht unterkriegen lassen. Wir brauchen Lust, etwas zu erleben, Lust, Menschen zu treffen, Lust, etwas zu bewegen – ja ganz einfach Lust aufs Leben.

Christian Neureuther und seine Frau Rosi Mittermaier waren jahrzehntelang ei ...
Christian Neureuther und seine Frau Rosi Mittermaier waren jahrzehntelang ein unschlagbares Team. Nach dem Tod seiner geliebten Ehefrau blickt Christian Neureuther dankbar auf die lange gemeinsame Zeit zurück.Foto-Quelle: Neureuther

ERL: Lust am Leben ist wichtig, keine Frage. Doch Sie sind bekanntlich nicht der Mensch, der ohne Rücksicht auf Verluste lebt, sondern auch bewusst unterwegs ist und sich mit aktuellen Krisen beschäftigt. Wenn Sie die drei wichtigsten Zukunftsthemen benennen müssten, welche wären das?

Christian Neureuther: Das dramatischste Zukunftsthema überhaupt ist für mich die Erderwärmung. Laut neuesten Prognosen könnte die globale Durchschnittstemperatur bereits in den nächsten fünf Jahren um 1,5 Grad steigen. Schon jetzt schmelzen die Gletscher in nie dagewesener Geschwindigkeit. Die Brände des vergangenen Sommers in Griechenland, Italien und Kanada halten uns einen dramatischen Spiegel vor Augen, wo wir mit unserer Lebensweise stehen. Insofern sind meine drei wichtigsten oder dringlichsten Zukunftsthemen: Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeit.

ERL: Was bedeutet für Sie Nachhaltigkeit?

Christian Neureuther: Diese Erde muss lebenswert und bewohnbar bleiben – für unsere Kinder und Enkel. Alles, was wir dazu beitragen können, sollten wir auch tun. Das verstehe ich unter dem Begriff Nachhaltigkeit.

ERL: Oft geht Nachhaltigkeit mit Verboten einher. Vom Verbrenner-Aus bis zum Skilift-Abbau. Wie könnte Nachhaltigkeit Spaß machen?

Christian Neureuther: Nachhaltig zu leben macht immer Spaß, weil es einem einfach ein gutes Gefühl gibt. Gerade wir Skifahrer sind uns im Klaren darüber, dass unser Sport mit Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß einhergeht, Stichwort: Anreise mit dem Auto oder Erzeugung von Kunstschnee. Deshalb ist es auch so wichtig zu überlegen, was wir ändern sollten, um unseren geliebten Sport weiterhin guten Gewissens ausüben zu können.

ERL: Das heißt konkret?

Christian Neureuther: Ich bin der festen Überzeugung, dass sich der Mensch Teile der Natur zu eigen machen soll und darf. Das gilt für die Berge allgemein, aber auch für Skigebiete. Nur die Balance muss stimmen. Deshalb gilt es, die vorhandenen Skigebiete energetisch zu verbessern und zu perfektionieren, keine neuen Skigebiete mehr auszuweisen, sondern im Gegenteil unberührte Natur zu schützen und in Ruhe zu lassen. Wir brauchen keine neuen Skigebiete mehr. Wir sollten die jetzigen einfach nachhaltiger nutzen. 10.000 Menschen konzentriert in einem Skigebiet schaden der Natur weniger als 1.000, die sich über ein breites Areal verteilen. Das ist mein Ansatz schon seit Jahrzehnten.

ERL: Oft heißt es, ich als kleiner Verbraucher kann doch eh nichts ändern. Stimmt das?

Christian Neureuther: Das finde ich nicht. Natürlich kann einer alleine nicht einen ganzen Brand in Griechenland löschen. Aber vorm Fernseher sitzen und nur zusehen, wird auch nicht die Lösung bringen. Jeder soll sich fragen, was er selbst zu einer nachhaltigeren Lebensweise beitragen kann. Dazu gehört sicher auch mal Verzicht auf lieb gewonnene Gewohnheiten. Kleine Spaziergänge ergeben irgendwann eine weite Strecke. Und mit der Nachhaltigkeit ist es genauso. Ich fahre z.B. nicht mehr so schnell Auto wie früher. Ich hätte nie gedacht, dass ich meinen Benzinverbrauch so drastisch reduzieren kann. Ich vergleiche auch bei jedem Tanken, wie mein Benzinverbrauch aktuell ist und freue mich, wenn ich einen neuen Rekord aufstellen konnte. Kleine Dinge zu schaffen, bringt Freude. Und wenn das viele machen, können wir gemeinsam viel schaffen. Wissen Sie, ich mag kein fundamentales Denken, damit können wir Menschen nicht bewegen. Alles muss lösungsorientiert sein.

"Kurze Strecken ergeben irgendwann auch einen langen Spaziergang", sagt Chri ...
"Kurze Strecken ergeben irgendwann auch einen langen Spaziergang", sagt Christian Neureuther und ermutigt dazu, sich auch im ganz Kleinen um mehr Nachhaltigkeit zu bemühen. Er selbst verzichtet auf rasante Autofahrten.Foto-Quelle: Neureuther

ERL: Ein weiteres großes Thema der Zukunft wird neben Nachhaltigkeit auch Künstliche Intelligenz sein. Wie stehen Sie dem gegenüber?

Christian Neureuther: Ich stehe der KI offen gegenüber. Klar, sie birgt Risiken, aber richtig eingesetzt und von den richtigen Leuten entwickelt, kann sie Großartiges bewirken. Ich denke, dass KI die Nachhaltigkeit richtig voranbringen und sogar extrem beschleunigen kann. Gerade bei der Verringerung des CO2-Ausstoßes werden sich ungeahnte Möglichkeiten ergeben. So hoffe ich, dass KI viele Abläufe effizienter und schneller machen wird und uns trotz aller Risiken auch Möglichkeiten eröffnen wird, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.
Wie gesagt, ich weiß auch um die Risiken, aber wir können KI nicht mehr verhindern, sondern müssen – und das ist vornehmlich die Aufgabe der Politik – KI so steuern, dass sie uns Menschen nicht überholt oder unser Denken unnötig macht. Sicher wird es in unserer Gesellschaft große Umwälzungen geben, denen müssen wir uns aber stellen und das Beste für die Menschheit
herausholen. Vielleicht bekommen wir dadurch aber auch Freiräume und können uns dadurch wieder mehr um uns selber und um unsere Kinder oder Mitmenschen kümmern. Die Empathie kann KI nie ersetzen, sie ist aber ein Grundbedürfnis des Menschen.

ERL: Zu den wichtigen Dingen im Leben gehört für Sie ja die Familie. Ihr Sohn und Ihre Schwiegertochter haben direkt neben Ihnen gebaut. Welche Vorteile hat denn dieses Mehr-Generationen-Wohnen?

Christian Neureuther: Auf was es wirklich ankommt im Leben, heute und in der Zukunft, ist die Familie. Die Familie ist für mich das Wichtigste. Diesen Schatz muss man hegen und pflegen. Ich empfinde es als großes Glück, dass der Felix neben uns bauen konnte – auch dank der Familie ERL.

ERL: Sie sind mit der Familie Erl befreundet.

Christian Neureuther: Für uns war es ein Glückstreffer, "die Erls" kennengelernt zu haben. Daraus ist eine Lebensfreundschaft entstanden. Das sage ich jetzt nicht, um hier Werbung zu machen: Die Familie Erl ist eine unserer ganz wichtigen Begegnungen des Lebens.

ERL: Sie sind wie Alois Erl sen. stolzer Großvater. In welcher Welt wollen Sie Ihre Enkelkinder aufwachsen sehen?

Christian Neureuther: Ich bin wie schon erwähnt Optimist und bin der nachhaltigen Überzeugung, dass der Mensch, wenn die Not am größten ist, am kreativsten wird. Wir kennen ja die drängendsten Probleme, jetzt liegt es an uns bzw. auch an jedem Einzelnen, sie zu lösen. Lasst uns damit weitermachen, beginnen oder uns damit noch stärker beschäftigen.


Das Interview ist im ERL Printmagazin 2023 erschienen. Mehr spannende Themen rund um das Schwerpunktthema "Zuversicht" finden Sie hier.