Der Nebel hat sich noch nicht ganz verzogen, als Django Asül Anfang Oktober das „ERL Dahoam“ am Oberen Stadtplatz in Deggendorf betritt. Während des Interviews in der Gemeinschaftsküche huschen immer wieder Mitarbeiter vorbei. Viele kennt er beim Namen. Einige grüßt er per Faust oder Ellbogen. So wie in Corona-Zeiten üblich.
Django Asül, wie haben Sie den ersten Corona-Lockdown erlebt?
Ich bin zum Glück jemand, der mit seiner Freizeit sehr viel anfangen kann. Die ganze Corona-Gaudi verfolge ich aus möglichst sicherer Entfernung in der Heimat und mache mir, so weit es geht, ein entspanntes Dasein. Für alle, die weder gesundheitlich noch finanziell von der Pandemie betroffen sind, ist das ein Runterkommen der anderen Art.
Was hat sich konkret geändert?
Die Abläufe sind ganz andere. Normalerweise wäre der Herbst/Winter-Terminplan randvoll mit Auftritten, die jetzt aber größtenteils wegfallen. Dadurch habe ich zwar mehr Muße zum kreativen Arbeiten. Gleichzeitig registriere ich natürlich, wie Bühnenbetreiber, Techniker, aber auch Kollegen in Existenznot geraten.
Viele Künstler sind mangels Auftrittsmöglichkeiten mit ihren Shows ins Digitale ausgewichen.
Ich mache auch immer mal wieder auf Facebook oder Instagram ein kleines Video. Aber das Bühnendasein vor Publikum ersetzt das natürlich nicht, es ergänzt es höchstens. Für Kabarettisten ist die Interaktion mit den Zuschauern unerlässlich. In anderen Kunst-Bereichen kann das aber durchaus funktionieren.
Sie haben 15.000 Facebook-Fans. Wie wichtig ist es denn, in den sozialen Medien präsent zu sein?
Es ist eine gute Möglichkeit, relativ nah an Menschen dran zu sein und sie mit Informationen zu versorgen. Über Auftritte oder Termine zum Beispiel. Und dann ist es natürlich auch zu Unterhaltungszwecken. Nennen wir das Ganze mal Direkt-Marketing. Ich find’s praktisch.
Können digitale Angebote wie Netflix dem Kabarett gefährlich werden?
Dass es sich die Leute in einer Zeit, in der Bühnen geschlossen haben, zu Hause vor dem Fernseher gemütlich machen, ist mehr als legitim. Wenn aber unser Produkt eines Tages wieder in entsprechendem Rahmen angeboten werden kann, gehen die Leute bestimmt auch wieder ins Kabarett. Für mich persönlich gibt’s da kein Entweder oder. Das eine schließt das andere nicht aus. Leute, die bisher das Live-Erlebnis geschätzt haben, werden sich jetzt nicht plötzlich ganz dogmatisch zum reinen Fernsehpublikum erklären.
Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Mal, als Sie online gegangen sind?
An das Modem-Geräusch auf jeden Fall! Vor allem aber war E-Mail schreiben für mich von Anfang sehr nützlich. Weil’s damals aber noch kein WLAN gab, musste man seinen Laptop im Hotel irgendwie an diesen Fax-Stecker anschließen. Das war aufwendig.
Sind Sie viel im Netz?
Ich bin auf jeden Fall noch immer im Hier und Jetzt unterwegs - und nicht in einem Paralleluniversum.
Wäre eine Welt ohne Digital-Angebote eine bessere?
Das glaube ich nicht. Digitalisierung hat viele Dinge wirklich vereinfacht. Allein wenn ich an den Zugang zu Informationen denke. Klar ist aber auch, dass alles Gute für Schlechtes missbraucht werden kann. Aber das ist bei allem so. Mit einem Küchenmesser kann ich beispielsweise Tomaten sauber in Stücke schneiden, aber auch jemand anderen.
In Ihrer BR-Sendung „Asül für alle“ spielen Sie den Leiter einer Ausländerbehörde. Allein beim Blick auf die Requisiten fällt auf: Digitalisierung ist hier ganz weit weg. Absicht?
Hierzulande ist Digitalisieriung vielerorts ein Fremdwort. Ich weiß von Bekannten, dass sie froh sind, wenn sie dienstlich in Tschechien oder noch weiter weg unterwegs sind, weil sie mit Überschreiten der Landesgrenze plötzlich überall Netz haben und im Zug ohne ständige Unterbrechungen telefonieren und „surfen“ können. Da hat Deutschland einiges verschlafen.
Wie das?
Man war halt viele Jahre sehr stolz auf die „schwarze Null“. Darüber hat man die digitale Infrastruktur beziehungsweise deren Ausbau einfach nicht so ernst genommen. Im Vergleich zur Wirtschaftskraft herrscht hier leider ein großes Defizit. Die Politik hat diese Zukunftsthemen einfach weiter weg verortet, als sie es tatsächlich sind.
Was man aber von Markus Söder nicht sagen kann. Nur mal ein Stichwort: bayerisches Raumfahrtprogramm Bavaria One.
Stimmt. Der lässt dann aber in seinem Eifer gleich fünf Zwischenschritte aus und will gleich den Mond besiedeln. Vielleicht weil er ahnt, dass wir das mit der Digitalisierung bei uns nicht mehr hinbekommen.
Was müsste sich sofort ändern?
Das Problem ist, dass man nicht einfach den Schalter umlegen kann und drei Wochen später hat man alles nachgeholt, was zuvor jahrelang versäumt wurde.
Beim Thema betriebliche Ausbildung ist Deutschland hingegen weltweit Spitzenreiter. Sie haben ja auch Bankkaufmann gelernt. Denken Sie noch manchmal daran zurück?
Ich würde die Ausbildung jederzeit wieder machen. Der Vorteil einer Lehre ist, dass man Einblick in die Arbeitswelt bekommt. Da geht’s auch um Tugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Raus am Morgen. Und rein in die Realität.
Worauf kommt es in der Ausbildung an?
Ganz wichtig ist, die Azubis ernst zu nehmen. Wie das gerade auch bei ERL der Fall ist, sie als künftige vollwertige und wertvolle Fachkräfte zu sehen und nicht als lästige Pflicht. So war’s auch bei mir. Ich freue mich noch heute, meinen ehemaligen Ausbilder zu sehen. Für mich war die Sparkasse mit den vielen guten Kollegen ein perfekter Ort – und ist es noch heute.
Sie sind ja das Gesicht beziehungsweise der Protagonist der neuen ERL-Azubi-Kampagne „Lern wos gscheids“. Wie kam’s dazu?
Ich kenne ja die Firma und die Familie Erl schon lange. Mir gefällt wahnsinnig gut, dass sich hier um die Mitarbeiter gekümmert wird. Dass man sich als ein großes Team sieht – und das keine hohle Phrase, sondern Wirklichkeit ist. Ich bin ja öfter in der Firmenzentrale unterwegs und erlebe, wie geht wer mit wem um. Und welches Wohlfühlareal mit dem „ERL Dahoam“ geschaffen wurde, finde ich großartig. Allein das Niveau der Aufenthaltsbereiche, das Fitnessstudio, das Mitarbeiterrestaurant! Das hat für mich viel mit Wertschätzung zu tun. Ich fühle mich hier wirklich wohl. Deshalb bin ich auch öfters mal da. Und freue mich nun sehr auf die Zusammenarbeit.
Jetzt gibt es ja für Ihre Profession keine Ausbildung. Wie wird man trotzdem ein gefeierter Kabarettist?
Talent ist schön und gut. Aber der Rest ist harte Arbeit. Das ist wie in jeder anderen Branche auch. Von nix kommt nix. Es geht um permanentes „Learning by doing“. Mir war und ist noch immer wichtig, aus jedem Auftritt die richtigen Schlüsse zu ziehen. Gewissermaßen Selbstreflexion zu üben. In dem Moment, in dem man glaubt, man sei eh der Beste, hat schon der Qualitätsverlust eingesetzt. Ich fange bei jedem Auftritt, bei jeder Sendung wieder bei Null an. Erfolge der Vergangenheit sind Vergangenheit. Der Augenblick ist das, was zählt. Das hat auch mit Wertschätzung gegenüber dem Publikum zu tun.
Wie war das eigentlich zu Beginn Ihrer Karriere? Hatten Ihre Eltern Sorge, dass aus dem Buam nichts werden könnte?
Im ersten Moment haben sie natürlich gestutzt. Hey, was hat der jetzt vor? Vor allem weil ich ja absolut fachfremd war. Aber ich war schon immer ein Pragmatiker und habe mir gesagt: Du hast keine Ahnung von dem Geschäft, willst es aber unbedingt ausprobieren. Wenn es nach einer gewissen Zeit nichts wird, dann lässt du es halt wieder. Mit der Ausbildung im Rücken hatte ich zudem eine gewisse Sicherheit. Und mit meinem Nebenjob als Tennislehrer kamen auch immer ein paar Mark rein. Meine Eltern merkten schnell, dass ich ihnen nicht auf der Tasche liege.
Die Kabarett-Karriere nahm ja auch ziemlich schnell Fahrt auf.
Die ersten Versuche vor Publikum waren im Oktober 1995. Nur zwei Jahre später war mein Programm in München schon vier Wochen ausverkauft. Also ja. Das war durchaus ein Schnellstart, hatte aber auch was mit der Zeit damals zu tun. Türkischer Migrationshintergrund, aber bayerisch sozialisiert, noch dazu niederbayerisch. Das ist ja innerhalb Bayerns nochmals Exotenstatus.
Django Asül wurde zur Marke.
Ohne es zunächst geahnt oder geplant zu haben. Ein großes Glück war dabei sicher auch, einen wahnsinnig tollen Agenten zu haben. Jemand, der mehr kann als Termine klarzumachen, sondern auch Stärken und Schwächen erkennt und kreative Tipps gibt. Wichtig ist zu wissen, warum etwas funktioniert.
Was waren die Highlights?
Als zum Beispiel Rudi Carrell bei uns zu Hause angerufen hat oder Bruno Jonas, die mich in ihre Sendungen eingeladen haben. Das waren natürlich zur Beruhigung meiner Eltern echte Hämmer.
Gab’s trotzdem zwischendrin den Wunsch, mal was ganz anderes zu machen?
Ich hatte und habe eigentlich ziemlich viel Abwechslung in meinem Leben. Da sind Hobbys wie Tennis oder Lesen. Aber es gibt auch den Drang, mich wirklich intensiv in bestimmte Themen einzuarbeiten. Das kann ein Land sein oder eine Epoche. Aber den Wunsch, einen anderen Job auszuüben, gab’s nie.
Warum?
Weil ich auch so viel Einblick in fremde Berufswelten bekommen habe. Ich hatte das Glück, viele Topmanager und Unternehmer kennenzulernen. Dadurch habe ich immer dazugelernt. Insbesondere was Philosophie und Strategie von Unternehmensentscheidungen betrifft. Ich haben Riesenrespekt vor jedem, der seinen Job mit Leidenschaft erledigt.
Wie bringen Sie Struktur in Ihren Berufsalltag, der ja nicht klassisch um acht Uhr beginnt und um 17 Uhr endet?
Ich denke die Dinge vom Ende her. Wenn ich eine Deadline habe, dann kann ich unheimlich konzentriert und schnell arbeiten. Von Vorteil ist dabei, auf eine gute digitale Materialsammlung zurückgreifen zu können, die beständig wächst.
Recherche ist alles.
Genau. Zumal ich bei meinen Aktivitäten vom Maibockanstich über den Jahresrückblick bis zur „Kicker“-Kolumne ein recht breites Feld an Themen beackere. Ich verbringe pro Tag mindestens zwei Stunden mit Zeitungslektüre.
Haben Sie die Themen für den „Rückspiegel“ 2020 schon zusammen?
Ich lege jeden 1. Januar ein Word-Dokument mit dem Titel „Stoffsammlung Jahresrückblick“ an und sammle darin wirklich alles, was mir an Interessantem und Kuriosem unterkommt. Wenn man erst im Oktober beginnen würde, sich zu fragen, was im Februar war, wäre dieses Unterfangen komplett hoffnungslos. In diesem Jahr ist die Herausforderung, das über allem schwebende Thema Corona jenseits von R-Werten und Hochrisikogebieten aufzudröseln.
Wie wichtig ist bei der Themenfindung Ihr Stammtisch im Café Einhellig in Hengersberg?
Der kommt mir natürlich sehr zugute. Weil ich da ja live mitbekomme, was die Leute wirklich beschäftigt.
In Ihrem aktuellen Programm „Offenes Visier“ geht’s um Nachhaltigkeit, bewusstes Reisen, Fitness. Ist Ihnen das persönlich wichtig?
Das Programm entstand im vergangenen Herbst/Winter, also noch vor Corona. Trotzdem könnte man meinen, das ist jetzt mein Corona-Programm. Weil es um Fragen geht, die sich viele Leute jetzt stellen - wegen beziehungsweise seit Corona. Also was wesentlich ist, worauf es im Leben ankommt.
Worauf denn?
Auf jeden Fall nicht um ständigen Konsum und möglichst viele Fernreisen. Wir sind eine gehetzte Gesellschaft geworden, in der sogar Freizeit in Stress ausartet. Schauen Sie sich bloß mal an, was Grundschulkinder teilweise für einen Terminplan haben. Jenseits von Hausaufgaben.
Wo Sie gerade Schulkinder erwähnen, wie sieht’s denn weiter vorn auf der Zeitachse aus? Haben Sie Angst vor dem Alter?
Auf keinen Fall. Ich finde, jedes Alter hat seinen Reiz. Ich bin gespannt, was kommt. Vor allem in der Rückschau.
Wie meinen Sie das?
Naja. Vor zehn Jahren hätte ich Interessen, die ich heute mit großer Begeisterung verfolge, nie für möglich gehalten.
Zum Beispiel?
Klassische Musik.
Klassische Musik?
Ich höre in drei von vier Fällen, wenn ich Musik höre, Klassik. Wenn mir das einer vor Jahren gesagt hätte, hätte ich gesagt: Du, da verwette ich eine Doppelhaushälfte, dass das nicht so kommt. Im Kopf und im Herz wach zu bleiben, ist das einzige, was ich mir für die Zukunft vornehme.
Woher kommt diese Lockerheit?
Ich habe ein wunderbares soziales Umfeld über die Familie hinaus. Es ist ja kein Zufall, dass ich noch immer in Hengersberg lebe und von dort nie weg wollte. Das ist meine „Homezone“, meine Basis. Da wird mir keinen Tag langweilig. Und ich ziehe daraus eine unheimlich große Gelassenheit und Zufriedenheit. Allein dadurch, dass ich viele Menschen schon sehr lange kenne und einfach schätze, manche schon seit der Geburt.
Ist es eigentlich anstrengend, immer lustig sein zu müssen?
Diese Erwartungshaltung gibt es in meinem Umfeld überhaupt nicht. Gleichzeitig ist dieses Umfeld auch ein guter Schutz, nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Abzuheben ist schwierig in Hengersberg. Da würde dir schon der Kopf gewaschen werden. Und einen lustigen Spruch gibt’s trotzdem. Aber nie „on demand“.
Zur Person:
Uğur Bağışlayıcı alias Django Asül ist einer der bekanntesten Kabarettisten Deutschlands. In Deggendorf ist er nicht nur geboren worden, sondern hat dort auch bei der Sparkasse seine Ausbildung zum Bankkaufmann erfolgreich abgeschlossen. Seit Mitte der 1990er-Jahre bespielt er die Bühnen des In-, Um- und befreundeten Auslandes. Darüber hinaus tritt er beim traditionellen Maibockanstich fast schon traditionell als Festredner im Münchner Hofbräuhaus auf. Mit „Asül für alle“ hat er seine eigene Kabarett-Sendung im BR-Fernsehen. Zu Hause ist er in Hengersberg.