Während vielen Menschen die letzten Jahre mit Corona, Krieg, Inflation und persönlichen Herausforderungen schwer zugesetzt haben, strahlen andere immer noch ungebrochenen Optimismus aus. Wie aber gelingt es, zuversichtlich zu bleiben und den Fokus nicht zu verlieren. Ein
Gespräch mit Prof. Dr. Cordula Krinner:
ERL: Beim genauen Hinsehen merken wir, dass es uns gut geht, wirklich richtig gut geht. Sicher, jeder von uns hat sein Päckchen zu tragen, aber dennoch ist das Leben lebenswert und viele Herausforderungen lassen sich lösen. Warum neigen wir Menschen dazu, uns auf Probleme
anstatt auf ihre Lösungen zu fokussieren?
Prof. Krinner: Es wird gerne problematisiert, stark auf Probleme geachtet. Tatsächlich ist das aber ein extrem wertvoller Ansatz: Scannen wir die Umwelt nach Problemen ab, stellen wir fest, ob dort etwas Lebensbedrohliches für uns ist: Das Auto, das von rechts kommt, wenn wir am Zebrastreifen stehen – oder als urzeitliches Beispiel der berühmt-berüchtigte Säbelzahntiger. Unser Fokus ist auf mögliche Bedrohungen gerichtet, um schnell auf diese reagieren zu können. Nur wenn wir uns zu sehr auf die Probleme versteifen, kann das für uns langfristig dabei hinderlich werden, zu überprüfen, wie man sie beheben kann.
ERL: Also sollten wir diesen Fokus, unsere Konzentration, gezielt lenken?
Prof. Krinner: In der Psychologie sprechen wir neben den Wörtern Konzentration oder Fokus auch von der „willentlichen Steuerung von Aufmerksamkeit“. Aufmerksamkeit können wir gerichtet auf eine Aufgabe lenken. Dafür ist es erstmal wichtig, zu verstehen, woher das Problem kommt. Wenn es in meinem Umfeld eine Person gibt, die mich besonders nervt und mir die Konzentration raubt, sollte ich verstehen, warum diese Person so anstrengend für mich ist: Sind es ihre Art und ihre Meinungen? Oder sind es unterschiedliche, inkompatible Arbeitsweisen? Um das Problem zu verstehen, sollten wir nicht nur an der Oberfläche bleiben und uns über die Person ärgern. Wir sollten ihre Motivation und die Gründe für ihr Verhalten zu verstehen versuchen.
ERL: Das gilt aber nicht nur für andere Menschen, sondern auch für schwierige Situationen?
Prof. Krinner: Ja, gilt es. Dabei gibt es unterschiedliche Aspekte, wo die Ursachen für die schwierige Situation liegen können. Ein Aspekt kann sein, dass wir die Situation selbst nicht beeinflussen können: Eine näher rückende Abgabefrist eines Projekts, für das wir von Inputs anderer abhängig sind, die einfach nicht kommen. Ein anderer Aspekt kann sein, dass wir selbst für die schwierige Situation verantwortlich sind: durch unser eigenes Aufschieben. "Prokrastinieren" wäre der Fachbegriff. Wir setzen uns lange mit einer Aufgabe nicht auseinander, da sie uns unangenehm ist oder weil wir Angst haben, zu scheitern. Und dann wird plötzlich die Zeit knapp. Wir müssen uns also bewusst werden: Liegt die Ursache für die problematische Situation bei mir? Gibt es Umstände, die ich nur teilweise beeinflussen kann? Oder bin ich sogar mit Erwartungen anderer an mich konfrontiert, die einfach unrealistisch sind?
ERL: Können wir unsere Konzentration trainieren?
Prof. Krinner: Das können wir. Aufmerksamkeit muss man genau wie einen Muskel regelmäßig und langfristig trainieren. Und wie beim Sport kann das am Anfang etwas mühsam sein. Eine Möglichkeit zum Training ist Meditation. Wir richten die Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment ausschließlich auf Atmung, Körperempfindungen oder Geräusche.
In stressigen Situationen ist man oft aufgewühlt und das Gedankenkreisen nimmt einem den Fokus. Das gezielte Konzentrieren auf Körperempfindungen kann die Energie aus diesem andauernden geistigen Wiederkäuen nehmen und den Kopf wieder frei für anderes machen.
Der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn hat dafür ein achtwöchiges Programm zur Meditation entwickelt, die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR). Die Wirksamkeit bei Menschen mit hohen beruflichen Belastungen oder bei Patienten mit chronischen Schmerzen ist wissenschaftlich sehr gut belegt.
ERL: Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, Stress abzubauen, um sich besser zu fokussieren?
Prof. Krinner: Sport ist langfristig wichtig, um die Belastungen, mit denen wir in der heutigen Berufswelt konfrontiert sind, abzubauen. Unsere Stressreaktionen sind eigentlich sehr funktional, weil sie uns Energie geben. Und diese Energie muss dann körperlich abgebaut werden. Evolutionär gesehen bei Gefahr, indem wir weglaufen oder kämpfen. Das gibt es so im modernen Alltag natürlich nicht. Darum ist regelmäßiger Sport ein wichtiges Ventil für angestaute Energie, um wieder zur Ruhe zu kommen.
ERL: Belastbarkeit und Konzentrationsfähigkeit sind also eine Lebensstilfrage?
Prof. Krinner: Definitiv. Dafür ist es ganz wichtig, sich selbst zu kennen. Zu wissen, welche Situationen belasten mich und wo habe ich meine Schwachstellen. Aber vor allem: Wo kann ich mir Ventile schaffen und Ausgleich finden? Ein gutes soziales Umfeld durch Freunde und Familie fördert unser Wohlbefinden enorm. Ausreichend Schlaf, eine ausgewogene und gesunde Ernährung sowie ausreichend Trinken gehören ebenfalls dazu. Genau so, Hobbys zu pflegen, die uns Energie geben. Optimalerweise gehört ein gutes Jobumfeld dazu, in dem man mit Menschen und Themen arbeitet, die einen begeistern. Denn Arbeit kann auch Energie geben. Neben Ausgleich und Konzentrationsfähigkeit spielt aber auch die Zuversicht eine große Rolle.
ERL: Wie kommen wir raus aus der Negativ-Spirale hinein in die Zuversicht?
Prof. Krinner: Das lässt sich pauschal nur schwer beantworten. Vielleicht handelt es sich bei stark gedrückter Stimmung, Antriebslosigkeit und Verlust der Fähigkeit zur Freude tatsächlich um eine Depression, so dass man die Hilfe einer psychologischen Psychotherapeutin in Anspruch nehmen sollte.
In der Annahme, dass keine manifeste psychische Erkrankung vorliegt: versuchen Sie zu erspüren, was Ihnen guttut und was Energie raubt. Viele Menschen fühlen sich aktuell z.B. von den Nachrichten (Krieg, Hungersnöte, Klimakrise…) überwältigt und ausgeliefert, weil sie nichts unternehmen können. Dann kann es hilfreich sein, eine Zeit lang keine Nachrichten mehr zu konsumieren oder den Konsum von Nachrichten stark einzuschränken. Hilfreich kann es auch sein, sich auf das zu fokussieren, was man selbst beeinflussen kann, z.B. mit ehrenamtlichem Engagement. Denn wenn wir anderen Menschen helfen, hilft das oft auch unserem eigenen Wohlbefinden.
ERL: Nun gibt es im Leben Situationen, die uns in echte Krisen stürzen können. Wenn wir zum Beispiel sehen, dass wir mit unseren Kräften nicht mehr weiterkommen, dass sie schwinden, dass wir auf Hilfe angewiesen sind. Wie können wir damit umgehen?
Prof. Krinner: Ein Aspekt, der hier helfen kann, ist sich ins Bewusstsein zu rufen, dass es allen Menschen so ergeht. Individuell ist es natürlich für jeden Menschen eine potentielle Krisensituation, wenn die eigenen Kräfte nachlassen. Dennoch sollten wir in der Lage sein, Veränderungen zu akzeptieren.
Dass wir altern, ist eine Realität, mit der jeder von uns konfrontiert wird. Was hilft, ist sich schon frühzeitig damit auseinanderzusetzen und Unterstützungspotenziale zu erkunden: Seien es etwa Pflege-/Betreuungsangebote oder das soziale Umfeld. Habe ich auch im Alter Aktivitäten im Leben, die mir Spaß machen? Es ist wichtig, sich präventiv auf Lebenskrisen vorzubereiten.
Wir können das mit einem Konto vergleichen: Was befindet sich auf der Soll-, was auf der Habenseite? Je mehr an Positivem auf der Habenseite liegt, umso leichter fällt es uns, Lebenskrisen
abzufedern.
ERL: Meist sind es nicht die großen Krisen, die uns herausfordern. Oft sind es die Probleme des Alltags: das kranke Haustier, die Autoreparatur oder die Prüfung des Kindes - und das alles zeitgleich. Wie bleiben wir da konzentriert?
Prof. Krinner: Da gibt es den Klassiker: das Eisenhower-Prinzip. Es ist ein Diagramm mit zwei Achsen. Die horizontale Achse zeigt die Dringlichkeit – von niedrig zu hoch. Die vertikale Achse zeigt die Wichtigkeit, ebenfalls von niedrig zu hoch aufsteigend. Wir sollten also die Probleme, die sowohl hoch dringlich als auch hoch wichtig sind, zuerst angehen. Der kranke Hund muss zuerst
zum Tierarzt, bevor wir mit dem Kind lernen.
Konzentrationsfähigkeit bedeutet auch zu prüfen, was ist die richtige Reihenfolge, in der ich die Probleme angehe. Es bedeutet zudem, zu überlegen, ob ich Aufgaben delegieren kann: Dass etwa ein Elternteil den Hund versorgt, während sich das andere um das Kind kümmert.
ERL: Zur Konzentrationsfähigkeit gehört, um Hilfe bitten zu können?
Prof. Krinner: Definitiv. Und zu verstehen, dass um Hilfe zu bitten kein Zeichen von Schwäche ist. In der Psychologie sprechen wir dann davon, dass Selbstwirksamkeit erlebt wird: Dass ich weiß, was ich selbst lösen kann. Aber auch zu erkennen, wann ich mit meinem Latein am Ende bin. Zu wissen, wann ich Unterstützung brauche und wo ich sie finden kann. Das wiederum gibt einem auch Zuversicht, weil man weiß, dass man Probleme gemeinsam meistern kann.
Zur Person:
Cordula Krinner studierte an der Universität Regensburg Diplom-Psychologie und wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. Seit September 2019 ist sie Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Technischen Hochschule in Deggendorf.
Das Interview ist im ERL Printmagazin 2023 erschienen. Mehr spannende Themen rund um das Schwerpunktthema "Zuversicht" finden Sie hier.